Eine kurze Geschichte der #Digitalisierung
“Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.” (1. Mose 1–5)
[Textsorte: Traum]
Eine kurze Geschichte der #Digitalisierung
LIVE-BLOGGING | Passagen & Fragmente | Erstellt: 30. November 2017, letztes Update: 12.12.2017, 15:00h | Parallel erstellt: SCHON WIEDER: Gott ist tot. Kunst ist tot. Wissenschaft ist tot. Was jetzt? | DAS IST EIN BRUCHSTÜCK 1. korinther 13
Es ist den Gatekeepern jeder untergehenden Welt nicht vorzuwerfen, dass sie zu kontrollieren versuchen, wie eine Metamorphose, eine Transformation, eine Wendezeit abzulaufen hat.
Und: Wo grosser Machtverlust, da gewaltige Gewalt.
Es ist freilich kein Zufall, dass auf dem Schlachtfeld der Sprache, im Medium der Schrift, im Prozess des Publizierens die Morbidität der Legitimation zu stinken beginnt. Eines der grandiosesten Zeichenketten in dieser Sache ist
#digitalisierung
Eine kurze Geschichte. Sie geht so:
Es war einmal…
Das ist eine Unterscheidung. Wenn Papi das Licht löscht, sich ins Bett legt, sein ängstliches Kind in den Arm nimmt und ihm eine Geschichte erzählt, beginnt diese mit diesem Satz: “Es war einmal…”
In nur drei Wörtern wird die ganze Welt, die ganze Wirklichkeit, die ganze Realität, die ganze Wahrheit auf die Seite geschoben. Pure Phantasie. Pralles Leben. Alle Möglichkeiten. Vorhang auf. Träume ein.
Wer die Wahrheit verkündet, lügt. Und wer eine wahre Aussage macht — zum Beispiel, dass alle 15 Sekunden ein Kind an Hunger stirbt — erntet ein Schulter zucken, sieht ein müdes Lächeln, erlebt einen abrupten Themenwechsel.
Eine der ersten Fragen meines Kindes war: Wo war ich vorher? Wer bin ich? Wann kommt Nonno wieder? Sehe ich ihn gar nie mehr?
Bis zum heutigen Tag, haben wir auf derlei Fragen keine Antworten. (Ausser, wenn wir Märchen erzählen.) Es soll ja wieder im Trend sein, daran zu Glauben, dass Gott die Welt geschaffen habe. Und zwar in präzis sieben Tagen. Wirklich!
Ich will gerne zugeben: Das verstehe ich gut. Dass die Welt durch eine Explosion entstanden sei, ist auch ziemlich lächerlich.Woher kam Gas und Zündholz, hä? Warum soll aus einer Explosion so was entstehen wie ein Baum, oder eine Ameise? Und falls ja: Warum sprengen wir die Welt nicht mit unseren vielen Bomben in einen nächsten Zustand? Vielleicht wird es ja noch viel besser. Dann.
Kurzum: Ich traue den Märchen mehr Wahrheit zu als den Astropyhsikern, welche mittels Computerstimme aus Rollautomaten röcheln. Wozu diese Horde fähig ist, haben sie bewiesen. Und dass diese Typen nun auch noch Glauben einfordern, macht mir sie so unsympatisch wie die Verfahren der Inquisition. Nix da. Da erfinde ich mir lieber meine eigene, ziemlich kurze Geschichte. Und die geht so:
I
Einer der ältesten, der bekanntesten, der einflussreichsten Texte, welcher sich mit dem Problem der Erklärung des Unerklärlichen befasst, eröffnet den Beginn mit der Aussage:
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Genesis 1,1
Ich interpretiere das so:
a) Der Anfang ist eine Interpunktion. Eine Setzung. Der Satz hätte auch anders gesetzt werden können.
b) Die Setzung machte zwar ich. Hat etwas mit mir zu tun. Gemacht aber habe ich sie nicht. Diese Unterscheidung erscheint mir. Als Wunder. Wie Selbstverständlich. Sie erscheint mit als Grundlage meines Seins.
c) Ich stehe auf dem Boden. Mein Kopf ragt in den Himmel. Vertikal. Horizontal. “Hier stehe ich, und kann nicht anders.”
Wenn dem Text weiter gefolgt wird, in unserer Form der Verschriftlichung von Links nach Rechts, von Unten nach Oben, aufgelistet, wird von nächsten Tagen berichtet, in welchen weitere Unterscheidungen gemacht werden.
Paul Watzlawick wird sehr viel später — 1967, um präzis zu sein — digitale und analoge Unterscheidungen unterscheiden.
Digitale Unterscheidungen sind in ihrer Idealform “Komplementär”. Das heisst, dass sie sich bedingen und gleichzeitig ausschliessen. Eben: Himmel und Erde. Licht und Finsternis. Ein und Aus. <<nicht>Strom< Digitalisierung.
II
Eine zweite Unterscheidung, welche uns Genesis — das erste Buch Mose, wie wir es nennen — vorschlägt, ist jene Geschichte von Kain und Abel. Das sollen die ersten Söhne von Eva und Adam gewesen sein, der ersten Menschen.
Kain ist Ackerbauer.
Abel ist Hirte.
Kain tötet Abel, weil er sah, dass der Rauch seines Bruders vom Himmel aufgesogen wurde, während sein eigenes Feuer ihm in Auge und Nase stach.
Der Nomade schien mit den Bedingungen des Lebens einen harmonischen Umgang gefunden zu haben. Während der Ortsansässige gewaltbereit in die Erde eingriff, sich unbewegliche Häuser baute und bloss noch warten konnte, ob seine Investitionen die Unwetter überlebte.
Ich interpretiere das so:
Es gibt Unterscheidungen, welche einen praktischen Unterschied machen. Und damit Handlungsanleitend wirken.
III
Die Kombination der zwei Interpretationen kulminieren — effektiv & effizient — in dem, was wir “Neuzeit” genannt haben.
Pulverisiere — granularisiere — alles was dir vor Augen kommt, in die eindeutige Zweiwertigkeit. Verbinde die je beiden Seiten mit Strom, damit du diese unvermittelt ansprechen, ansteuern, identifizieren kannst. Und baue dir so Mehr, ein Meer von Unterscheidungen, welche dir einen praktischen Unterschied machen.
Wir nennen es Digitalisierung.
Stefan m. Seydel/sms ;-)
(*1965), M.A., Studium der Sozialen Arbeit in St. Gallen und Berlin. Unternehmer, Autor, Künstler.
Ausstellungen in der Royal Academy of Arts in London, Deutsches Historisches Museum Berlin, Cabaret Voltaire Zürich uam. Gewinner Migros Jubilée Award, Kategorie Wissensvermittlung. Nominiert mit rocketboom.com für den Webby Award 2006 (Best Use of Video or Moving Image). Jury-Mitglied “Next Idea” Ars Electronica 2010. Bis 2010 Macher von rebell.tv. Co-Autor von “Die Form der Unruhe“, Umgang mit Information auf der Höhe der Zeit, Band 1 und 2, Junius Verlag Hamburg. Mitglied im P.E.N.-Club Liechtenstein. Er war drei Jahre Mitglied der Schulleitung Gymnasium Kloster Disentis. Seit Sommer 2014 lebt und arbeitet er in Zürich: http://dfdu.org AG, Konstellatorische Kommunikation. (Entwicklung von Pilot und Impulsprojekten, gegründet 1997 mit Tina Piazzi)