Sozialarbeit = Arbeit am Sozialen (Eine Prüfung)
Textsorte: Memo, Tabu | weil wir am nächsten 1st Friday (07.09.18) mit Prof. Dr. Heiko Kleve über seinen Beitrag im Sammelband “Paul Watzlawick 4.0" sprechen werden, hier eine kleine Vorbereitung auf das Gespräch. | Arbeitsstand: 6. September 2018, Eröffnung Eintrag: 16. August 2018, 10:42h
Work in Progress
“Soziale Arbeit ist Arbeit am Sozialen”
- und nicht an Körpern
- und nicht an Gedanken
Diese Einstiegsformel in die Definition von Beruf, Profession und Disziplin Sozialer Arbeit, geht jeder Fachsprache aus dem Weg. Ohne jede Vorkenntnisse soll entwickelt werden können, was Sozialarbeit tut.
Wenn also gefragt wird: “Was ist Soziale Arbeit?”
Dann sagen wir einfach: “Arbeit am Sozialen.”
Und wenn gefragt wird: “Was ist das Soziale?”
Dann sagen wir einfach: “Nicht Körper von Menschen. Nicht Gedanken von Menschen. Beides nicht. Alles Andere.” (So?)
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Was also ist das Soziale?
Das dazwischen. Alles zwischen Körpern von Menschen und ihren je eigenen Gedanken. Niklas Luhmann nannte es (verwirrlich) “Kommunikation”.
Soziale Arbeit kommunziert also? Den ganzen Tag?
Jein. Luhmann zwinkerte jeweils: “Kommunikation kommuniziert. Nicht Menschen.”
Und Soziale Arbeit macht dann also was, den ganzen Tag?
Beobachten? Beobachtung beobachten? Raumforschung? Beziehungen beobachten? Austauschprozesse beobachten? Prozesse der Macht und Ermächtigungen beobachten? — Und dann macht sie Interventionen. Experimente. Experimente scheitern nämlich nicht, sie generieren Informationen. Es geht darum, exludiertes zu inkludieren, nicht zu löschen...
(unterbricht) Soziale Arbeit ist also total daneben? Ständig dazwischen? Stellt sich weniger daneben, als einfach immer dazwischen?
Ja. Wenn du so willst. (Lacht.) Und wenn sie gut ist, braucht es sie nachher nicht mehr. (Lacht weiter.)
Ich dachte, Sozialarbeit sei “Irgendwas mit Menschen”…
Nein. Wenn schon, “Irgendwas mit Kommunikation”, “Irgendwas mit Austuasch”, “Irgendwas mit Macht”…
Der Sozialarbeit ist es egal, wie es Menschen geht?
Nein. Natürlich nicht. Aber es gibt Menschen, die stinkreich sind, super vernetzt, total erfolgreich und sie geben an, dass sie innerlich ausgebrannt seien. Und es gibt Menschen, denen geht es wunderbar, dabei werden sie systematisch über den Tisch gezogen, mies am Arbeitsplatz bezahlt, werden ausgenutzt nach Strich und Faden…
Sozialarbeit hört nicht auf das, was Menschen sagen?
Nein. Natürlich nicht. Sozialarbeit denkt stur von unten nach oben, würde Gilles Deleuze sagen…
Von den Unterdrückten, Armen, Exkludierten her?
Nein. Von Weltgesellschaft her, von Bezügen, von Netzwerken, von Beziehungen, Relationen, Zusammenhängen, Konstellationen her…
Ich verstehe dich nicht.
“Du kannst nicht nicht verstehen.”
Wozu Theorie?
Theorie soll hier als das Verstanden werden, was in der Neuzeit, der Aufklärung, der Moderne die akzeptierte, legitime, Methode war, Daten zu Informationen und Informationen zu Wissen zu verarbeiten. Sie löste Theologie ab, das vorher dominante Verfahren.
Chris Anderson — er hat in einem der ersten, grossen kollaborativen Schreibprojekte die Idee von “The Long Tail” entwickelt — zitierte kürzlich (ohne weiteren Quellenverweisen) den britischen Biochemiker und Statistiker Georg Box, welcher vor 30 Jahren gesagt haben soll, dass auf Grund der dramatischen Datenflut “die wissenschaftliche Methode“ weggeschwemmt und überflüssig gemacht würde. Chris fährt weiter:
Sixty years ago, digital computers made information readable. Twenty years ago, the Internet made it reachable. Ten years ago, the first search engine crawlers made it a single database. Now Google and like-minded companies are sifting through the most measured age in history, treating this massive corpus as a laboratory of the human condition. They are the children of the Petabyte Age.
Dirk Baecker nimmt Bezug auf jenen Text von Chris. Im aktuellen Buch “4.0 — die Lücke die der Rechner lässt” (2018, Seite 140). Mich aber beschäftigt stärker sein früherer Hinweis. Dirk entdeckte nämlich in der Frage Wozu Theorie? (2016, Seite 10) die “Frage danach, wie die Autonomie der Wissenschaft in der Gesellschaft gesichert werden und mit der Reflexion auf ihre Funktion und ihre Leistung verknüpft werden kann.”
Damit wird Theorie zu etwas gänzlich anderem. Theorie ist dann bloss noch das— und das ist ja nicht gerade wenig! — was einer mehr oder minder gut organisierten Horde ermöglicht, sich als Gemeinschaft zu hyperventilieren. Sich abzugrenzen von anderen Playern. Ihre Theorie als wichtig, richtig, nützlich zu inszenieren. Das wäre dann so ziemlich das Gegenteil von dem, was Theorie — in Abgrenzung zu Theologie — so wichtig machte.
Theorie musste klären, an welcher Frage sie arbeitet. Theorie musste klären, mit welchen Mitteln die Frage bearbeitet werden darf. Theorie musst explizieren. Musste publizieren, dem Publikum zugänglich machen, veröffentlichen. Und zwar so, dass andere die Forschung und deren Ergebnisse objektiv nachvollzogen werden konnte. Und die Hoffnung bestand darin, dass ein jemand Widerspruch einlegte. Denn Applaus und Zuspruch, wäre der Tod jedweder weiteren Entwicklung.
Theorietreiben war nichts weniger, als aus dem weihrauchgetränkten, süsslichen, glaube einfordernden Geheimnis eines als dunkel beschriebenen Zeitalter auszubrechen.
Peter Sloterdijk kommt in einem am 8. November 1999 gehaltenen Vortrag über Niklas Luhmann zu folgendem Schluss: “Theorietreiben in unserer Zeit — gleich ob es sich mehr dem szientistischen oder eher dem essayistischen Pol zuneigt — (ist eine Übung), sich zu einer Zeitgenosschenschaft zu bekennen.”
Wozu schwere Sprache?
Der Linguist Noah Bubenhofer erzählte mir kürzlich — ganz am Ende unserer aller ersten Begegnung, welche vollständig als Podcast zugänglich ist — von der Beleidigung seiner Zunft: Diesen Rechner ist völlig egal, was ein Wort ist, was deren Bedeutung sein mag, ob das Ding in einem Haupt- oder Nebensatz steht.
Die aggressive Stimmung zwischen Experten und Laien hat wohl kaum seinen Ursprung darin, dass auf Wikipedia mehr oder minder anonyme Gestalten komplexeste Lexikaeinträge schaffen. Ohne auch bloss einmal sich ehrfürchtig vor Professoren zu knien und nach einer zugänglichen Antworten zu betteln. Die Beleidigung liegt wohl viel mehr darin, dass immer nachvollziehbarer wird, dass Rechner — kaum haben wir ein Wort ausgesprochen, diese es bereits abgesogen, zugeordnet, eingereiht haben. Und wenn wir dann umgekehrt nach dem genau gleichen Wort — wie wir heute sagen — “googeln” diese uns scheinbar sinnvolle, aufschlussreiche, wirkungsmächtige Antworten zuspielen.
Schwere Sprache erscheint zunächst als ein Mittel, eine Hierarchie aufzubauen. Zwischen Experten und Laien. Und das wird vor dem Hintergrund eines grandiosen Informationsmeers immer lächerlicher.
Die Herausforderung ist eine gänzlich andere geworden. Was bisher funktioniert hat, verliert Legitimation, Kraft, Attraktivität und beginnt zu Nerven. Es ist zum davonlaufen. Und es ist die Universität, welche präzis diesen Brain Drain erlebt. Sie laufen davon. Die Besten…
An welcher Frage hat Paul Watzlawick eigentlich gearbeitet?
Kühner, als das Unbekannt zu erforschen,
kann es sein, das Bekannt zu bezweifeln.
Kaspar
(Lösungen. Der Einleitung vorangestellter Satz. 1973. Der Satz wird auch Alexander von Humboldt zugesprochen. Wer “Kaspar” sein könnte, weill ich nicht.)
In unserem Beitrag in “Paul Watzlawick 4.0” gehen wir von einem kriegstraumatisierten Person aus. Das Erleben einer Welt, welche in bisherigen Kategorien nicht mehr zu fassen war.
Dieses “Röhrchenkommunikation” (Dominic Looser). Diese Annahme, einer rationalen Analysemöglichkeit von Kommunikation. Dieses so tun, als könnten Störungen durch flicken behoben werden…
Wir gehen davon aus, dass das zentrale Anliegen von Paul Watzlawick war, eine Metakommunikation zu beschreiben. (Aber eben nicht so, wie des Friedemann Schulz von Thun gemacht hat ;-)
- zur Doku des Live-Streams (wird am 8.7.2018 verlinkt)
- zum youtube-channel von sms2sms aka Benutzer:Derpräfekt aka Stefan M. Seydel aka /sms ;-)
- zur Homepage von #pngpng — ein tägliches SNAPeriment rund um #smf18 #wikicon18 #wiwi18 vom 17. August 2018–17. Oktober 2018 (Abschlussparty in Wien)
- Was #CommunityWork von #Sozialarbeit lernen könn(t)e: Making of von einem Listicle (Work in Progress)
Sammlung von Fragen an Prof. Dr. Heiko Kleve:
Links
- Silvia Staub-Bernasconi: Die Akzeptanz der Idee von autopoietischer Systeme
- Niklas Luhmann: Was ist Kommunikation?
- ebenda ”Nur vorsorglich sei noch angemerkt…” (Vorstellung eines Kommunikationsbegriffes, welcher streng jedwede Bezugnahme zu Körper und Gedanken (“Bewusstsein oder Leben”) vermeidet und damit die Idee von “autopoietischer Systeme” sehr ernst nimmt.)
- Der Versuch, die 5 Axiome von Paul Watzlawick auf 3x3 Axiome zu erweitern. (Piazzi/Seydel in: Paul Watzlawick 4.0)
- Weltgesellschaft (Ein Theorievergleich. Ps: Peter Heintz ist der Doktorvater von Staub-Bernasconi. Er hat auch ganz wunderbar über die Idee der Anarchie geschrieben ;-)
- Die Herangehensweise hier, kann durchaus in Übereinstimmung mit der Definition von Sozialer Arbeit im IFSW gesehen werden. Die klassische Dreiteilung von Einzelfall, Familie, Gemeinwesen, kann leicht als historische Entwicklung gezeigt werden. Jedenfalls kann von Beginn der Professionalisierung die Diskursivität, das von Komplexität ausgehen, gezeigt werden: Prof. Dr. Giesela Hauss. Prof. Dr. Peter Pantucek weist in einem Podcast darauf hin, dass Sozialarbeit auch im Einzelgespräch immer davon ausgeht, dass die Einzelne Person als Teil von einer Gruppe gesehen werden muss. etc.
- Macht: Behinderungs-/Begrenzungsmacht nach Staub-Bernasconi
- Die vier Felder, nach Staub-Bernasconi
Stefan M. Seydel/sms ;-)
(*1965), M.A., Studium der Sozialen Arbeit in St. Gallen und Berlin. Unternehmer, Autor, Künstler.
Ausstellungen und Performances in der Royal Academy of Arts in London (Frieze/Swiss Cultural Fund UK), im Deutsches Historisches Museum Berlin (Kuration Bazon Brock), in der Crypta Cabaret Voltaire Zürich (Kuration Philipp Meier) uam. Gewinner Migros Jubilée Award, Kategorie Wissensvermittlung. Diverse Ehrungen mit rocketboom.com durch Webby Award (2006–2009). Jury-Mitglied “Next Idea” Prix Ars Electronica 2010. Bis 2010 Macher von rebell.tv. Co-Autor von “Die Form der Unruhe“, Umgang mit Information auf der Höhe der Zeit, Band 1 und 2, Junius Verlag Hamburg. Mitglied im P.E.N.-Club Liechtenstein. Er war drei Jahre Mitglied der Schulleitung Gymnasium Kloster Disentis. Seit Sommer 2014 lebt und arbeitet er in Zürich: #dfdu.org AG, Konstellatorische Kommunikation. (Entwicklung von Pilot und Impulsprojekten, gegründet 1997 mit Tina Piazzi)