Und? Was erlöst uns heute? #WhatsNext @patricknfrank @GessneralleeZ @nachtkritik
Patrick Frank hat gestern, 22. März 2018, in der Gessnerallee Zürich seine neuste Arbeit zur Aufführung gebracht: “Und was erlöst uns heute?”
Nachtkritik hat bis jetzt nicht erklärt, was ich gestern gesehen habe. (Was ich empörend finde.) Dabei ist es schon 13:31h geworden. Ich muss mich also selber auf die Hinterbeine machen und den eigenen Gang wagen. Ich warne Sie aber: “Denken ist nun wirklich nicht meine Stärke.”
Während ich am sammeln bin — natürlich auf Twitter — bin ich mir eine Playlist mit Stücken von Carlo Gesualdo (1566 — 1613) am aufbauen. Vielleicht klicken sie drauf. Dann hören sie mich beim fühlen. (So?)
Doch, das hat einen Zusammenhang. Aber das kann ich Ihnen jetzt noch nicht verraten. Ok?
[Textsorte: Traum]
Heute Morgen bin ich mit einem Satz aus schweren Träumen erwacht. Ich habe mir den Dialog notiert und mit der Playlist angefangen. Ich weiss nicht, was es mir bedeuten soll.
im haus der verzweiflung sind viele räume.
— “suchen sie sich eines aus”, sagte er.
ich aber bevorzugte das flanieren. auch hier
Die Inszenierung ist schnell beschrieben.
Die Bühne hat drei Teile: Links — Mitte — Rechts. Von mir aus gesehen. Theater stellt ja “Spiel zur Schau”. Die Professionellen Zeiger denken beim inszenieren an mich. An Dich. Den Zuschauer. (Das mache ich hier anders. “Die Ansprache des Publikums” — kursiv hervorgehoben — hat eine gänzlich andere Funktion. Aber das wäre ein anderes Thema.) Den Professionellen zu unterstellen, sie arbeiteten nicht professionell, wäre eine Beleidigung. Und darum nehme ich auch sehr ernst, dass die Bühne keinen Rand hat.
Ich sitze in der ersten Reihe. (Nein. Das habe ich mir nicht gewählt. Ich wollte neben MurrligStef sitzen. Und dieser war mit jemandem dort — ich meine, es sei ein “professioneller” —für welchen es klar war, dass wir vorne sitzen MüSSEN. Also. Ich sass ungeschützt in der ersten Reihe. Ziemlich zentral. In der Mitte. Leicht rechts. Also Links, von der Bühne aus gesehen.) Bereits unsere erste Reihe ist auf einem Podest. Und die Reihe hinter uns auf einem nächst höheren. Und immer so weiter.
Wir sitzen wie die Soldaten: In Formation. Wir werden so in Form gebracht informiert. Professionell. Die stetige Erhöhung der Reihen weist darauf hin, dass für diesen Prozess die Sicht auf die Bühne wichtig sei. Dabei ist Patrick Frank ein Komponist. Er komponiert Musik. Sie nennen es “Zeitgenössische”, “Neue Musik”.
Zeitgenössische Musik ist zum Verzweifeln gemacht.
Sie hat sich in einer verzweifelten Zeit entwickelt. Sie wurde von Verzweifelten gemacht. Sie wurde zum Verzweifeln gemacht. Und warum dieses Szene so so störrisch, so rigide, so unzeitgemäss stur, unflexibel, undynamisch ist, erklärt sich leicht aus ihrem verzweifelnd um Leben, um Atem, um Luft ringenden Anliegen.
Zeitgenössische Musik ist das heute vielleicht zuverlässigste Kontrastmittel zum Wahnsinn und Durcheinander dieser Tage. Diese aggressive Geschwätz von Links und Rechts. Diese Versuche auf allen Seiten neue Horden zu formieren. Einfache Lösungen anzubieten. Das Marschieren von Massen in Bewegung zu bringen. Es ist zum kotzen.
Und diese alte “Neue Musik” wirkt gerade darin so ermutigend. Sie gibt dir zu verstehen, dass du nichts verstehst. (Logo, das ist freilich null Problem: “Ich weiss, dass ich nichts weiss”. Kein einziger Fan von “Zeitgenössischer Musik” hätte für diese erschütternde Erkenntnis #CambridgeAnalytica gebraucht. Die Zeiten sind wirr.)
Also: Ich sitze also in diesem rumgekratze auf kostbaren Instrumenten und die Geräusche faszinieren nicht spontan? Jetzt guck ich mich um: Die anderen lauschen andächtig, mitgehend, offensiv intellektuell. Mir wird meine Ignoranz, meine Empathielosigkeit und meine stümperhafte Bildung beim Beobachten der anderen Opfer dieser akustischen Folter um die Ohren gehauen: Es liegt eine Botschaft in diesem Rauschen? … Und plötzlich vernehme ich diese… Und atme auf... Und bekomme Luft… Weil ich merke:
Zeitgenössische Musik verstehe ich gut. Ich wurde ja so sozialisiert. Ganz Anders:
Ich kann nicht erklären wie es geht, aber ich erlebe es täglich. Es funktioniert. Auch wenn ich es heute nicht mehr höre: Es tönt so. Und ich weiss, dass es so funktioniert. Wirklich. (Wo war ich? Ahja:)
- Die Bühne spielt auf dem Boden. Die Zuschauenden schweben.
- Die Bühne hat keinen Rand. Am Ende, wie das Stück zu Ende war, konnte ich ohne jedes Hindernis einfach zu diesem Dolce & Afgahne Typ gehen und einen #handshake machen. Er war grossartig. Er denkt so schnell und so kontraintuitiv: Es macht Spass und passt zur Musik: Du verstehst vor allem, dass er es besser kann. Am Ende war alles Gut. Und daran erkannte ich, dass es das Ende war. (So?)
- Die Bühne simuliert eine Raumverengung nach hinten. Schatten an der Raumwand wandelten am Ende des Abends zum zentralen Altar. Aber das kann ich jetzt noch nicht erzählen. Hören sie Carlo Gesualdo?
- Das Schauspiel beginnt rechts, wechselt zu links, pendelt. Endet in der Mitte. Mit Gesualdo.
Die Botschaft ist klar: Die Wahrheit — das zentrale Thema des Stück — wird auf dem Boden der realen Wirklichkeit verhandelt. (Mit Betonung auf Handeln.) Wir Zuschauende sind für ein paar Minuten von dieser Dringlichkeit enthoben. Und etzt beginnt also die Zeitreise. (“Das Neue ist stets das noch Ältere.”) Show Time. Ohren spitzen. ES GEHT UM DEN KLANG.
Im Anfang war ein Video
Es war lustig. Ein Typ mit oller Carlo Gesualdo Perücke machte suaglattes Zeugs. Vor der Schnauze klebte ihm der übergrosse Schnauzer. Coole visuelle Tricks. Anspruchsvolle Musik. Sehr schnell alles.
Warum? — Weil sie es können.
Es war recht schnell vorbei. Die Leinwand schepperte blechig in den Himmel auf. Und kam nie mehr zurück. GOTT SEI DANK. Eine deutlicherer Tritt in den Allerwertesten dieser allerwertvollsten Medienkompetenten aus der Cloud, wäre schwer zu inszenieren. Jetzt war die Bühne frei. Befreit. Geläutert. Es wurde nicht laut. Aber…
Die Zahl zwei. Die re:re-Petition. Eine Petition.
Die vier kamen mit je zwei Instrumenten. Und kratzten dann rum. Tristan Tzara hätte seine Freude gehabt. Ein bedrohliches Grundrauschen. Sie könnten anders. Sie liessen es ertönen. Sie sagten einander auch laut, in welchem Abschnitt sie welchen Teil spielen. Sie konnten nicht auf einander eingehen. Hoch über ihren Köpfen leuchteten zusätzlich noch so Kapitelüberschriften und Orientierungshilfen? Sie hatten gar Mikrofone. Sie schnauften für alle laut hörbar ihr konzentriertes Tun. Es nützte einfach alles gar nichts. Sie #rauschen aneinander vorbei. Miteinander. Wie gesagt: Ich habe nichts gegen das gemeinsame Rauschen in der gleichen Realität. Wirklich. Ich sage die Wahrheit! (Ganz ehrlich…)
Jetzt treten die Männer auf. Links. Zu Dritt.
Der Rebell ganz vorne. Gewaschen und Erfahren mit allen Revolutionen, auf welche die politische Welt so stolz ist. Sensationell.
Der queer spritzige Dolce & Afgahne nach ihm. Nur Typen wie er dürfen sagen, was Sache ist. (Ok. Besser wäre, er wäre eine Frau. Vielleicht noch mit einer Behinderung. Und natürlich transsexuell. Ganz wichtig. Aber dann:) Es sind die vielleicht wichtigsten Biografietragenden dieser Tagen. Menschen mit einem wilden Set von “unveränderbaren Merkmalen”: Die idealen Instrumente zur Bildung von Mainstream. “Auf die Instrumentalisierung kommt es an.” Und er nutzt sein Bedingtheit kongenial.
Patrick Frank schliesslich, setzt sich selbst als hippen, total reflektierten superintellektuellen an die dritte Stelle. Als letztes Bollwerk der in die Vergangenheit rasende Zeit. Und doziert dort kenntnisreich den Anführer der pragmatischen Kräfte zu Zürich vor 500 Jahren: Huldyrich.
Zwinglichkeit ist die neue Dringlichkeit.
Patrick Frank inszeniert die Gedanken der Re:FORMation der proTESTtestTESTanten vor 500 Jahren, als jene Unterscheidungen, auf welchen wir unsere Gedanken zu stellen meinen müssen.
Der kleine Rebell spricht es locker aus: Warum wissen wir, ob jene mit Ihrem Gerede von “Realpräsenz Gottes in der Hostie: Ja/Nein?” nicht viel eher über unser Geschwätz kichern? Er guckt sich verschmitzt um, wenn seine beiden älteren Kollegen wichtig reden. Und rasend klug wie die Jesuiten alter Tage argumentieren…
(…)
ich muss unterbrechen… ortswechsel… jetzt, wo es um die realpräsenz gottes geht, renne ich davon… ufff :-/
Gestern — 6. Juni 2018 — hat mir Patrick Frank via FB Messanger einen Link geschickt auf einen Text von Rumora Mottenfrass. (An einem “1st Friday #SOZIALARBEIT-stammtisch” hat mich die Person hinter dem Pseudonym besucht. Dass ES auch an einem Text arbeitet, wurde dabei nicht erwähnt. Mir ermöglicht aber diese geistreiche Arbeit, den weiteren Verlauf des Abends aus seiner Chronologie zu nehmen. Und direkt dort hin zu springen, wo ich mich am 23. März hinschreiben wollte. Zur Frage, was es denn mit dieser Realpräsenz Gottes auf sich hat. Und wie Patrick Frank sich entschieden hat, darauf einzugehen.)
Was bisher geschah?
- Die Playlist mit Stücken von Carlo Gesualdo (1566–1613) wird jetzt vor jedem Stück mit einer Werbung unterbrochen. Youtube nervt. Aber es erinnert mich an eine unvergessliche Begegnung mit Prof. Dr. Peter Gross an der Universtität St. Gallen. Ich kam etwas zu früh an eine Besprechung mit einem Mitarbeiter von ihm ans Soziologische Seminar. Da springt er aus seinem Büro und bietet mir Kaffee an. “Peter, ich weiss dass du am Morgen schreiben willst und muss. Lass gut sein. Ich weiss wo der Automat steht.” — “Nein, Stefan. Es ist sehr wichtig, sich beim Schreiben unterbrechen zu lassen. Ich habe den Eindruck, dass ich nach einer Unterbrechung besser schreibe.” (JaJa: Alles sehr frei. Fast 30 Jahre nach dem Moment notiert ;-) Jedenfalls: Das war vor Internet und Twitter und trallalla. Und: In welchem Buch notierte er zu Beginn, dass es völlig egal sei, ob sein Text von Vorne nach Hinten oder gänzliche anders gelesen würde? — Aber eben. Dann kam dieses Weh!Weh!Weh! und all diese Professoren verkrochen sich in ihre Schreibstuben und warteten auf Anrufe vom Feuilleton… Kaum einer stellte seine Erfahrungen, seine Hinweise, seine Theorien, seine Reputation zur Verfügung. Auch Peter nicht. — Aber sein Hinweis hat mich begleitet. Die eigenen Bedingungen des Denkens zu beobachten. Und ärgerlicher Unterbrechung als möglicherweise köstliche Fortsetzungen zu sehen...
- Den Text: “Was ist Kommunikation?” von Niklas Luhmann, scheine ich tatsächlich nicht gekannt zu haben. Wir haben ihn nicht im Literaturverzeichnis von “Die Form der Unruhe”, Band 2, 2010, aufgeführt. Das Buch stand nicht in unserer Bibliothek. Ein Jahr vor dem Tod von Niklas geschrieben. Ganz in der Abgrenzung auf “Frankfurt” geschrieben. Poetisch und klar. Und ich werde mir immer sicherer, wie ich die Versuche von Dirk Baecker am lesen und am absuchen auf Inspiration bin. Die Kontrolle von Intransparenz. (Insbesondere: Das Nachwort. Und dort insbesondere: Die Fusszeilen ;-)
- Die Kampagne zum Zwingli-Jahr ist mit voller Wucht gestartet. Mit einem dramatischen Overkill von Hashtags: “Die Tradition der Ersäufung der Progressiven durch die Pragmatischen” #reform500 — Ich erahne einen engen Zusammenhang zu diesem Text hier. Das Beispiel der “Realpräsenz Gottes” ist eng mit der “Erwachsenen Taufe” verbunden. Das Anliegen dahinter ist das Gleiche. Vielleicht gelingt hier die Brücke?
- PS: Nachtkritik hat noch immer nichts geschrieben.
PPS: Warum Gesualdo? Rumora Mottenfrass erzählt es.
Schluss jetzt: Es geht los. Nach den Tweets zu den Ausführungen in 1.-3 ;-)
Ha!Ha!Habe dann doch zuerst die Notizen vom 22. März überarbeitet… Dort insbesondere den Abschnitt zur Zeitgenössischen Musik… Weiss nicht, ob das so geht. Aber die ersten schnellen Wikipedia-Einträgen könnten… also… wow:
DIE REALPRäSENZ GOTTES auf der Höhe der Zeit
8. Juni 2018 — Den ganzen Tag hinweg hatte ich gestern Gesualdo im Ohr. Den ganzen Tag nagte ich an dem Problem, an dieser Frage, was Luther und Zwingli beschäftigte. Und zwischen Katholischer (Macht) Kirche und den radikal-sozial-liberalen Täufern beschäftigte.
Ob der Text jetzt funktionieren könnte in seiner Argumentation. Ich weiss es noch nicht. Ich bin noch am warten, ob mir Patrick Hahn ein Feedback gibt zur Zeitgenössischen Musik. Ob mir Güntzel Schmidt die Interpretation mit den Täufern bestätigen kann. Ob ich von Patrick Frank noch weitere Unterlagen bekomme. Ob circumvexa…
Der Abschluss würde ich dann so planen:
WORK IN PROGRESS — reload
Stefan m. Seydel/sms ;-)
(*1965), M.A., Studium der Sozialen Arbeit in St. Gallen und Berlin. Unternehmer, Autor, Künstler.
Ausstellungen und Performances in der Royal Academy of Arts in London (Frieze/Swiss Cultural Fund UK), im Deutsches Historisches Museum Berlin (Kuration Bazon Brock), in der Crypta Cabaret Voltaire Zürich (Kuration Philipp Meier) uam. Gewinner Migros Jubilée Award, Kategorie Wissensvermittlung. Diverse Ehrungen mit rocketboom.com durch Webby Award (2006–2009). Jury-Mitglied “Next Idea” Prix Ars Electronica 2010. Bis 2010 Macher von rebell.tv. Co-Autor von “Die Form der Unruhe“, Umgang mit Information auf der Höhe der Zeit, Band 1 und 2, Junius Verlag Hamburg. Mitglied im P.E.N.-Club Liechtenstein. Er war drei Jahre Mitglied der Schulleitung Gymnasium Kloster Disentis. Seit Sommer 2014 lebt und arbeitet er in Zürich: #dfdu.org AG, Konstellatorische Kommunikation. (Entwicklung von Pilot und Impulsprojekten, gegründet 1997 mit Tina Piazzi)