Warum HTML nicht die Fortsetzung des Gleichen mit anderen Mitteln ist? #wikicon18 Teil 3
Textsorte: Traum, Bekenntnis | Das ist die Vorbereitung auf meinen Beitrag am Treffen der deutschsprachigen Community von Wikipedia vom 5.-7. Oktober 2018 in St. Gallen/Schweiz @Wiki_Con #wikicon18
“Umgang mit Information auf der Höhe der Zeit — Was wir von Wikipedia lernen könn(t)en”: Samstag, 6.10.2018, 11.00–11.45 Uhr
(1) Meta (Einführung zu dieser Serie)
(2) Was wir nicht von Wikipedia gerlernt haben
(3) Warum HTML nicht die Fortsetzung des Gleichen mit anderen Mitteln ist?
(4) 22.08.1930 #AlbertEinstein zur 7. @IFA_Berlin: “Sehr verehrte An- und Abwesende”
(5) täglich #watchvlog ((( rebell.tv ))) #pngpng bis 17. Oktober 2018
(6) …
(7) …
Warum HTML nicht die Fortsetzung des Gleichen mit anderen Mitteln ist?
Selbstverständlich gilt weiterhin:
“Anfänge und Enden sind Interpunktionen.”
Es ist einfach zu behaupten, dass das Schreiben an einem mit dem Internet verbundenen Rechner die Fortsetzung des Gleichen mit anderen Mitteln sei.
Am Beispiel des Schreibens und Publizierens — gerade aus der Sichtweise von Journalismus — ist das einfach zu zeigen. Es geht so:
Du musst telefonieren — oder sogar das Büro verlassen! — Menschen, Veranstaltungen, Bibliotheken aufsuchen. Du notierst auf deinem Notizblock deine Beobachtungen von Hand. Du machst Transkriptionen von Deinen Interviews ab Diktaphon. Du überlegst Dir, wie ein kurzer, knapper, knackiger Text entstehen könnte, welcher dein Zielpublikum begeistert. Du sprichst Dich ab mit dem Bilderarchiv, Deinen Kolleginnen und Kollegen, welche mit Foto- und Filmkameras unterwegs sind. Du drischt auf Deine Gedanken mit den Tasten der Schreibmaschine ein. Gibst dieses Objekt — dem Vier-Augen-Prinzip folgend — intern weiter zur objektiven Beobachtung. Korrigierst. Reagierst auf fachlich begründete Feedbacks. Stellst den Text um. Nutzt die Synergien zum ausgewähltem Bild und Dein ganzes Gespür für hippe, der Mode und der angesagten Sprache folgenden Storytelling. Lässt den Text vom Sekretariat “ins Reine tippen”. Die Chefredaktion mäkelt noch etwas rum — ok, das ist der Job! — aber dann: Dein Text wird weiter getragen: Zum Lektorat. Zur Setzerei. Zur Druckerei. Zu stinkenden Lastwagen. Zum schwitzenden Zeitungsausträger. Zum doofen Usern. Dieser — der vom Bier entfesselten Vollpfosten — wutentbrannt einen Leserbrief an die Social Media Redaktion schickt und damit kongenial beweist, dass niemand anders die Thematik so sorgfältig, so gründlich, so umsichtig zu behandeln versteht, wie Du.
Hallo? — Das geht heute alles viel einfacher.
Das genau Gleiche. Viel einfacher. (So?)
Der Punkt ist, dass der Punkt auch anders gesetzt werden könnte: Die Interpunktion könnte darauf gesetzt werden, dass
- die Selektion von “Information”,
- die Selektion von “Mitteilung”,
- die Selektion von “Verstehen”,
welche in einer — lass mich beim angefangenen Beispiel einer Zeitungsredaktion bleiben — jeden Tag aufs Neue präsentierten “Kuration” gemacht wird, so zur Darstellung gebracht werden kann, dass eben gerade nicht unmittelbar darauf reagiert werden kann.
Gerade das Verhindern von (zu) schnellem Widerspruch, das Verunmöglichen von unmittelbaren Feedbacks, die Möglichkeit, anonym die eigenen Gedanken so zu entfalten, wie es einem eben selbst möglich ist, gerade das Ausschalten von Multiperspektive hat Multiperspektive erleichtert, unterschiedlichste Feedbacks ermöglicht, Widerspruch von ungeahnter Unterschiedlichkeit erzwungen.
#Aufschreibesysteme
Wenn das der Punkt wäre, würde deutlicher, dass das Recherchieren, das Denken, das Schreiben, das Zugänglichmachen von Informationen dramatisch verändert hat, etwas gänzlich unvergleichbar nächstes geworden ist, wir es mit etwas absolut Anderem zu schaffen haben, als mit
- dem Schreiben mit der Schreibmaschine,
- als dem Schreiben mit der Füllfeder,
- als dem Reden mit einem Menschen auf ähnlicher Augenhöhe.
Das Gleiche als das gleichzeitig ganz Andere.
Nein. Es ist nicht besser.
Nein. Es ist nicht schlechter.
Nein. Ganz anders: Es ist lediglich etwas gänzlich anderes.
So wird auch klar, warum dieses Weh!Weh!Weh! so nervt: Es steht für das unmissverständliche Ende von Neuzeit, Aufklärung, Moderne. Endlich. Der Holocaust kann als Symbol einer in den Zerfall gekommenen Individualismus gesehen werden. Die ICH AG kann als Symbol der Elegantisierung des Terrors auf “überflüssige Menschen” gesehen werden. Der Aufruf von “Humanize!”, die Ausweitung des ins unendliche ausdifferenzierte Selbsterkennung in einem Einhorn-Geschlecht, die Rückkehr der Religion… kann als Selbstkulpabilisierung und Hyperindividualismus gesehen werden. Kurzum: Es ist Zeit für etwas anderes.
#NextSociety
Und jetzt fällt auf: Wer nervt sich über dieses Internetz und nutzt alle denkbaren Herabwürdigungen? Verteufelungen, Psychiatrisierungen, Sexualisierungen, Fäkalisierunge und wenn alles nichts nützt: Banalisierungen? — Genau: Die “Siegerinstitutionen” von Neuzeit, Aufklärung, Moderne: Die Parteienpolitik, die (sozialistischen, die demokratischen, die marktwirtschaftlichen oder wie auch immer) Regierungen von Nationalstaaten, die Universitäten und ihre Public-Relation-Industrie: der Journalismus.
Wenn mit der Perspektive der Fortsetzung des Gleichen mit anderen Mitteln auf die aktuelle kommunikativen Herausforderungen schaut, kann durchaus ebenfalls fasziniert sein von diesen “anderen” Möglichkeiten:
Es geht dann darum, einen “Wandel 1. Ordnung” zu realisieren. Es geht dann um Anpassung, um Adaption, um das Ausnutzen von (beispielsweise) angebotenen Einsparmöglichkeiten und/oder um das Ausschau halten nach qualitativen Verbesserungen:
- Dass ein Storytelling multimedial gestaltet werden kann, ist in vielen Momenten sinnvoll.
- Dass die Tiefe der Inhalte unterschiedlichen Interessierten differenziert Angeboten werden kann, ist sensationell.
- Dass eine Quelle nicht nur behauptet, sondern umstandslos hergezeigt werden kann, trägt zur Glaubwürdigkeit einer Recherche bei.
- Dass Computer aus fantastisch vielen Daten automatische Texte generieren können: Ist doch grandios!
- Das Wikipedia als Quelle für News und Factchecking tonnenweise Material bereit hält: Wer will sich gegen diese Möglichkeit wehren?
- Und immer so weiter.
Wenn aber die zweite Sichtweise favorisiert wird, wird deutlich, dass es sich nicht um einen “Wandel 1. Ordnung” handeln kann, sondern umstandlos um einen “Wandel 2. Ordnung” gehen muss. Dass dieses “nächste dominant gewordene Kommunikationsmedium” — wir überschreiben es mit Niklas Luhmann und Dirk Baecker #Computer — nicht nur keine Fortsetzung des Gleichen mit anderen Mittel ist, sondern in kongenialer Weise eine kommunikative Anschlussverweigerung realisiert: Eine hyperaffirmative Mitnahme von einstigen Idealen — anonymes Publizieren, Ausweitung der Kritik ins unendlich Differenzierte, der Konsens zur Uneinigkeit, Ethik der Integration von Ausgeschlossenem etc. — in “Aufschreibsysteme” (Friedrich Kittler) notiert, welche jede Information, jede Mitteilung, jedes Verstehen im (Vorgänger)Medium #Buchdruck als vollständig diskreditiert zur Darstellung bringt. Mehr noch: Erstmals in der Geschichte der Menschheit — wie wir uns diese im Kontext der Universität zu erzählen erlauben dürfen — kommunizieren nun also Maschinen, Rechner, Computer mit, als wären sie ganz normale Menschen:
Du Adam, wir haben keine Milch mehr im Kühlschrank. Wenn ich Eva richtig verstanden habe, will sie vielleicht noch ein spezielles Menu kochen. Nimm doch besser gleich 2 Liter mit. d!a!n!k!e ;-)
Du Adam, es gab leider einen schweren Unfall 25 Kilometer weiter vorne. Die meisten haben sich für eine Umfahrung entschieden. Es wird auch dort zu Stau kommen. Ich habe eine spezielle Route für dich gefunden. Du wirst dich 10 Minuten verspäten. Soll ich dir diesen Weg anzeigen? Ich werde dann deinen Mitarbeitenden sagen, dass das Meeting 30 Minuten später starten wird.
Eva, dein Mitarbeiter hat soeben die Präsentation für Morgen auf seinem privaten Speicherplatz abgelegt. Er scheint über Zahlen zu verfügen, welche in deinen Unterlagen nicht zu finden sind. Das sollten wir uns kurz anschauen. Ich bin nicht sicher, was ich tun soll.
Du, sag Mal, wie redest du eigentlich mit mir?
Das wäre eine sehr, sehr dramatische Situation.
Und es eröffnete sich die Möglichkeit zu erahnen, was Niklas Luhmann damit gemeint hat, wenn er sagte: “Nicht Menschen kommunzieren. Kommunikation kommuniziert.” Und freilich auch, was hätte gemeint sein können, wenn Paul Watzlawick sein erstes Axiom beschrieben hat mit: “Du kannst nicht nicht kommunizieren.”
Und so wird es also sehr, sehr spannend ;-)
Ich bin Wikipedianer. Ich arbeite, seit ich von Wikipedia weiss an diesem Ding mit. In einem Podcast mit Wikistammtisch habe ich davon erzählt. Mich haben insbesondere die #Neologismen interessiert. (Zum Beispiel: #Vlog, oder kürzlich: #Algokratie.) Ich bin in der Wikipedia dort, wo gestritten wird. Dort, wo noch keine Sprache gefunden worden ist für das, was noch nicht einmal gezeigt hat, wie es sich angemessen beobachten lässt…
Mich interessieren die Neologismen, weil ich — seit ich über die Möglichkeit verfüge Computer vermittelt kommunzieren (Computer Mediated Communication #CMCzrh) zu können — davon ausgehe, dass es sich um einen “Wandel 2. Ordnung” handeln muss.
Ich kann das Datum ziemlich genau bestimmen. Es ist zwischen Herbst 1988 und Sommer 1989. Ich las als junger Student fasziniert die Schriften von #PaulWatzlawick und war am lernen, worauf die theoriemachenden Frauen der Sozialen Arbeit seit bald 2 Jahrhunderten hingewiesen haben:
Wenn es zur Kommunikation kommt, geht es um Komplexität. Für Soziale Arbeit geht es seit 200 Jahren um Komplexität. Während die Männer der edlen Helferinnen Ingenieure waren und Kompliziertheit favorisierten, interessierten sich ihre Frauen um einen gänzlich anderen Zugang zur Wahrheit, Wirklichkeit und Realität.
Ich weiss, dass Sadie Plant keine Sozialarbeiterin ist. Aber dafür weiss sie auch nicht, welche grossartigen Namen ihren Frauen in “Nullen + Einsen” als Vorbereiterinnen gezeigt werden könnten. Abernu…
Was meint #Massenmedien
Muss ich das jetzt immer wieder definieren?
Massenmedium
Das kommunikative Mittel, welches den einzelnen Körper aus der scheinbar unauflösbaren sozialen Zugehörigkeit zu lösen vermochte.
Ohne Massenmedium, Individuum.
Wie das Individuum — die Reduktion von Mensch-sein auf Körper — aber zum Problem wurde, ist seit Holocaust (und Zygmunt Bauman) beschrieben. Dass nach den sogenannten zwei Kriegen der Terror nicht aufhörte, sondern sich elegantisierte, ist evident.
Jetzt kann auffallen, dass die bisherigen Medienwechsel (Sprache, Schrift, Buchdruck) ebenfalls als soziale Tricks “gelesen” werden könnten, dem illegitim gewordenen Zugriff auf Körper zu entweichen.
- Die Sprache wurde von den Affen wohl deshalb entwickelt, weil das ständige gelaust werden unendlich nervte.
- Die Schrift wurde von den ständig in der Grossgruppe in die Knie atmen müssenden Idioten — Typen, die es verstanden, nicht verstanden zu werden und damit viel Freiheit erzielten — entwickelt.
- Der Buchdruck wurde entwickelt, weil wenn in der Heiligkeit der Schrift so gewaltiv viel Macht liegt, es doch immerhin sein könnte, dass es noch mindestens ein zweites Buch diesen Erfolg erzielen könnte. Oder?
- Das Netzwerk von Rechnern wurde erfunden, weil die unendlichen Sammlungen von Fussnoten von Computern viel rascher verrechnet werden konnten und es einfach irritierender, provokanter, faszinierender wurde jene Ergebnisse zu beobachten, als den Professoren beim dozieren zu lauschen.
Ja. Klar. Das ist Quatsch. Ich bin müde. Aber ich finde es faszinierend, mit diesen Ideen zu spielen.
(…)
(…)
Unterbrechung von Feedback, “als die Lücke, welche der Computer lässt”…
Darum ist auch das #SmartSetting wichtig. Weil es darum geht, dass Computer sich einbringen zu können. (so?)
Internet ist nicht Teil von Problem. Sondern Teil von Lösung.
Dass jede Lösung, nächste Probleme in sich trägt, ist völlig klar. Facebook als krypto-faschistisch zu nennen, wie es Philipp Felsch (vergl. Test zu Pingpong unten) tut, ist viel zu einfach. Eben gerade darum, weil Internet nicht Fortsetzung des Gleichen, sondern kommunikative Anschlussverweigerung ermöglicht. Damit verteidige ich nicht Facebook. GANZ IM GEGENTEIL. Damit klage Politik, Wisschaft und Investoren an, welche darauf bestehen, Internet als Fortsetzung des Gleichen mit anderen Mitteln zu sehen und solche Verwerfungen wie Google, Facebook, Amazon, IBM, Microsoft… und wie sie alle heissen, ermöglicht zu haben.
Ein Service Public auf der Höhe der Zeit hätte gänzlich anders reagiert ;-)
(…)
(…)
Schluss jetzt… Ich muss hier ja keine fertigen Texte produzieren… Es genügt zu gucken, wohin mich die Gedanken tragen… Und hier ging es nur darum anzudeuten, dass es wesentliche produktiver sein könnte, von “kommunikativer Anschlussverweigerung” auszugehen, als von “Fortsetzung des Gleichen mit anderen Mitteln”.
Zudem passt dies zum Narrativ der 4. Industriellen Revolution und dem dort zeigbaren Wechsel von der Dominanz von Kompliziertheit auf die Dominanz von Komplexität.
(…)
(…)
((( rebell.tv ))) ˆpingpong
Meine Vorbereitung auf den Text heute morgen.
(Morgen Dienstag, 21.08.2018, 10h, übe ich ein nächstes Mal ;-)
https://www.youtube.com/sms2sms
Mein erster Test von heute Montag:
#medienlǝsɥɔǝʍ
- sprache
+ schrift
≠ buchdruck
# computer
Ja. Dirk Baecker erklärt es besser:
NACHTRAG
Ja. An diesem Thema arbeite ich schon lange:
Stefan M. Seydel/sms ;-)
(*1965), M.A., Studium der Sozialen Arbeit in St. Gallen und Berlin. Unternehmer, Autor, Künstler.
Ausstellungen und Performances in der Royal Academy of Arts in London (Frieze/Swiss Cultural Fund UK), im Deutsches Historisches Museum Berlin (Kuration Bazon Brock), in der Crypta Cabaret Voltaire Zürich (Kuration Philipp Meier) uam. Gewinner Migros Jubilée Award, Kategorie Wissensvermittlung. Diverse Ehrungen mit rocketboom.com durch Webby Award (2006–2009). Jury-Mitglied “Next Idea” Prix Ars Electronica 2010. Bis 2010 Macher von rebell.tv. Co-Autor von “Die Form der Unruhe“, Umgang mit Information auf der Höhe der Zeit, Band 1 und 2, Junius Verlag Hamburg. Mitglied im P.E.N.-Club Liechtenstein. Er war drei Jahre Mitglied der Schulleitung Gymnasium Kloster Disentis. Seit Sommer 2014 lebt und arbeitet er in Zürich: #dfdu.org AG, Konstellatorische Kommunikation. (Entwicklung von Pilot und Impulsprojekten, gegründet 1997 mit Tina Piazzi)