Was war Bibliothek? #ScriptedCulture 2
Notizen in den Nachbereitungen von Gesprächen an der Züricher Hochschule der Künste #ZhdK | Live-Bloggings, Links zu den Organisatoren und dem LiveStream etc. im Eintrag Zettelkasten dissent.is
Chronologie einer Gesprächsreihe (aufsteigend)
- #SmartSetting — Definition und Link (2019)
- #ScriptedCulture 5 — Was war Film? (LiveBlogging | Schlussnotizen in 3)
- #ScriptedCulture 4 — Was war Kunst? (LiveBlogging)
- #SozialDigital — 26.05.18 #Sozialarbeit (LiveBlogging | Übungen)
- #Scripted Culture 1/2/3 — Das letzte Setting (Meta)
- #ScriptedCuture 3 — Was war ein Bild? (Schlussnotizen 1–5)
- #ScriptedCulture 1/2/3 — Das Märchen vom Krieg (Meta)
- #ScriptedCulture 2 — Was war Bibliothek?
- #ScriptedCulture 1 — Was war die Idee des besseren Arguments?
- #SmartCuration — Was war Kritik? (2017)
[Textsorte: Traum, Bekenntnis]
Es ist 2018 geworden. 18. April, um präzis zu sein. Die Gesprächsserie #SmartCuration hat eine Fortsetzung gefunden: Eine kleine Gruppe trifft sich in der Reihe #ScriptedCulture zum zweiten Mal an der ZhdK. Zum Frühstück. Dieses Mal mit Pius Knüsel. Er soll die Frage beantworten: “Was ist eine Bibliothek?” Meine Notizen im Zettelkasten sind nicht so glücklich geworden mit seinen 5 Thesen geworden. Aber das wusste ich ja schon vorher. Schon vorher wusste ich, dass ich eher gefragt hätte:
Was war Bibliothek?
Wir feiern. Nicht nur in Zürich.
500 Jahre Reformation. Der Hashtag dazu lautet: #reform500
Feierlichkeiten dieser Art zelebrieren wir seit vielen Jahren und bei vielen Gelegenheiten im Dreischritt von: “Erinnern — Gedenken — Erneuern”.
(A) Erinnern
Die Printprodukte der Pro-Test-anten haben dem Klerus vor 500 Jahren eine Re:Formation abgerungen: In der Sprache der Religion wurde eine gesellschaftliche Unruhe ausgetragen.
Robert Castel — nicht zu verwechseln mit Manuel Castells — würde von einer “Metamorphose der Sozialen Frage” sprechen.
Der Sozialarbeiter würde daran erinnern, dass das Soziale (falls es) ein Etwas ist, woran nicht nicht gearbeitet werden kann. Und:
In der Tradition von Niklas Luhmann (GdG, Kap2ff) würden wir die Beobachtungsfolien von #medienlǝsɥɔǝʍ nutzen und von einem Übergang “Von Schrift zu Buchdruck” (Dirk Baecker, SznG) sprechen. Wir würden damit jede Menge Unterscheidungen generieren, welche uns — insbesondere für die Beschreibung unserer eigenen Gegenwart — ganz alltagspraktische Unterschiede machen. Das wäre doch praktisch. Oder? — Eben. Also:
Vor 500 Jahren haben sich sozial progressive Kräfte gegen das Establishment, gegen verkrusteten Fügungen, gegen gewaltig mächtige Formatierungen gestemmt. Sie forderten:
- Schluss mit diesen Prozessionen der Prozessierung des Althergebrachten.
- Schluss mit elaborierten Exegesen von Texten aus fremden Sprachen.
- Schluss mit zwischenhändlerischer Vermittlung mit dem Unaussprechlichen.
Re-Form meint: Dass eine nächste Form für allgemein Akzeptiertes gefunden werden will. Das ist keine Revolution. Das ist ein Rebellion. Die Reformierten protestierten nicht gegen Religion. Aber gegen diese Form. Sie forderten lediglich ein, was gefordert wurde…
Pro-Test meint: Die Protestanten waren für den Test: “Sie wollten es wissen.” Sie wollten es selber in Erfahrung bringen. Sie wollten die Grundlagen, woran sie Glauben wollten, selber prüfen. Sie wollten jene “Heilige Schrift” selbst lesen, selbst studieren, selbst auslegen. Ganz ohne Vermittlung von Besserwisser, Genauerkenner, Wichtigtuenden. Das ganze Ding in einem einfachen Claim — natürlich in der Sprache ihrer Gegner — formuliert:
Sola Scriptura est pura (Martin Luther)
Die subversive Strategie, den mit Legitimationsmacht ausgestatteten auf Schriftlichkeit zu behaften, entfaltete grandiose Wirkung:
- Der Klerus konnte nichts gegen das Argument der Schriftlichkeit vorbringen. Sie waren es ja, welche die Heilige Schrift täglich — und insbesondere sonntäglich — hoch erhoben über dem Kopf des Priesters zum Alter getragen haben. Dass es nichts Höheres, nicht Wichtigeres, nichts Grundlegenderes gab als “die Heilige Schrift”, dem konnte niemand — und schon gar nicht die aller Mächtigsten — widersprechen.
- Die Übersetzung der Bibel in die Sprache der Gläubigen und die Distribution der “heiligen Schrift” via immer günstiger werdende Produktionsmöglichkeiten, begünstigte, dass auch allerlei — vom Klerus kennerisch “als dramatischen Quatsch” (aka #Bullshit) identifizierte — andere Gedankengänge zugänglich gemacht wurden.
- Die durch #Buchddruck neu entstandene Spähre — welche später nicht nur Jürgen Habermas “Öffentlichkeit” nannte — hat eine ganze Reihe von Veränderungen gebracht. Um nur einige zu nennen:
- “Schulbildung für alle” (Lesen, Schreiben, Rechnen als Mittel zur Freiheit, als Möglichkeit, sich an dem zu beteiligen, was alle angeht)
- die Herauslösung des einzelnen Menschen aus den Klebrigkeiten Sozialer Verhältnisse (Autoriät durch Autorenschaft, Selbsterkennung als Individuum, die unantastbare Würde des Menschen, Menschenrechte etc.)
- die Ermöglichung von freiem Zugang zu freier Information”. womit wir bei der Bibliothek wären und hier willkürlich aufhören, bloss um sofort weiter machen zu können:
Noch einmal: Was war Bibliothek?
Wenn wir hier von #Bibliothek sprechen, dann sprechen wir von #Universität. Und wir denken an locker 1000 Jahre Sozialgeschichte unserer zentraleuropäischen Region. Und das ist schon eine massive Abkürzung. Denn die Schriftkultur haben nicht die hier hausenden Kuhhirten und Ackerbauern erfunden. Nicht einmal das Kühe hüten und das Äcker bestellen wurde hier erfunden… Ok: Lassen wir das. Ok?
Die Mönche in St. Gallen haben den prächtigen Ort der Sammlungen ihrer Schriften “Seelenapotheke” genannt. Eine spätere Universität, hätte so nicht reden können. In der Schweiz lief die Säkularisierung viel milder ab. Im Süddeutschen raum etwa, haben die jungen Professoren die Bücher der Mönche dem Strassenbau übergeben. Um danach die leer gemachten Bücherregale mit einen Schriften zu füllen. Pius Knüsel erzählt — wenn auch erst auf Nachfrage — in träfen Worten darüber:
Das Buch als mentaler Pflasterstein (Pius Knüsel, #ScriptedCulture 2)
(…)
(B) Gedenken
(…)
(C) Erneuern
(…)
ABBRUCH UND NEUANFANG
es ist dienstag, 24. april geworden… am donnerstag ist schon teil 3. die stuktur überfordert meine zeit. und vielleicht auch mein interesse… in der zwischenzeit ist hier ein nächster eintrag entstanden:
was bleibt?
als interessant an den thesen schien mir spontan:
- these 2: “freier eintritt und ruhe” als forderung auf #OpenAccess interpretieren
- these 3: bibliothek als modell des wandels
spontan als eher zynisch interpretiert habe ich:
- 4a zerstörung, biotop
- 4b pfarrheim (das kommentierte er aber höchst positiv. als jugenderfahrung ;-)
- 4c der umsorgende staat
die frage, welche ich pius knüsel gestellt habe, zielt in die richtung:
- was ist/war ein buch? (die frage, welche er gar nicht beantwortet, ohne dieses etwas aber gar keine bibliothek gäbe)
- was ist/war daran wertvoll? (these 1)
- was war/ist an einem “original” interessant? (these 1)
- ist “die genese von neue wissen” heute noch ein ziel (these 5)
den letzten punkt würde ich unter dem aspekt von #medienlǝsɥɔǝʍ (vom #Buchdruck zu #Computer) verneinen. und zudem scheint es mir klar, dass es unter #Computer erstmals auch “freie radikale” daten gibt. nicht-perspektivische, nicht gerichtete, nicht intendierte… etc. etc.
beim erstellen eingefügt tweets:
DOKUMENTATION
outtake: wunderbare antwort auf eine frage von pius knüsel:
wozu #OpenAccess noch eine bibliothek braucht? — weil es jemand braucht, welcher bezahlt ;-)))
Stefan m. Seydel/sms ;-)
(*1965), M.A., Studium der Sozialen Arbeit in St. Gallen und Berlin. Unternehmer, Autor, Künstler.
Ausstellungen und Performances in der Royal Academy of Arts in London (Frieze/Swiss Cultural Fund UK), im Deutsches Historisches Museum Berlin (Kuration Bazon Brock), in der Crypta Cabaret Voltaire Zürich (Kuration Philipp Meier) uam. Gewinner Migros Jubilée Award, Kategorie Wissensvermittlung. Diverse Ehrungen mit rocketboom.com durch Webby Award (2006–2009). Jury-Mitglied “Next Idea” Prix Ars Electronica 2010. Bis 2010 Macher von rebell.tv. Co-Autor von “Die Form der Unruhe“, Umgang mit Information auf der Höhe der Zeit, Band 1 und 2, Junius Verlag Hamburg. Mitglied im P.E.N.-Club Liechtenstein. Er war drei Jahre Mitglied der Schulleitung Gymnasium Kloster Disentis. Seit Sommer 2014 lebt und arbeitet er in Zürich: #dfdu.org AG, Konstellatorische Kommunikation. (Entwicklung von Pilot und Impulsprojekten, gegründet 1997 mit Tina Piazzi)