Was war ein Bild? #ScriptedCulture (3/1-3)
Bin ich durch? Nach der dritten von fünf Frühstücksgesprächen im Rahmen von “Kulturöffentlichkeit & Digitalisierung: scriptedculture.com (2018)”? Ich vermute... Die Titel habe ich für mich umgeschrieben. So:
Chronologie einer Gesprächsreihe (aufsteigend)
- #SmartSetting — Definition und Link (2019)
- #ScriptedCulture 5 — Was war Film? (LiveBlogging | Schlussnotizen in 3)
- #ScriptedCulture 4 — Was war Kunst? (LiveBlogging)
- #SozialDigital — 26.05.18 #Sozialarbeit (LiveBlogging | Übungen)
- #Scripted Culture 1/2/3 — Das letzte Setting (Meta)
- #ScriptedCuture 3 — Was war ein Bild? (Schlussnotizen 1–5)
- #ScriptedCulture 1/2/3 — Das Märchen vom Krieg (Meta)
- #ScriptedCulture 2 — Was war Bibliothek?
- #ScriptedCulture 1 — Was war die Idee des besseren Arguments?
- #SmartCuration — Was war Kritik? (2017)
[Textsorte: Traum, Bekenntnis]Woran ich arbeite?
Vermutlich bloss daran, dass ich selbst Vertrauen gewinne in eine Reihe von Unterscheidungen, welche mir einen praktischen Unterschied machen:
Wir nennen es #medienlǝsɥɔǝʍ
Es geht darum, einen Zugang zu Herausforderungen zu erfinden, zu eröffnen, zu entwickeln, welcher Gestaltungs_Spiel_Raum anbietet. Die Herausforderung ist gross und nimmt einem beim darüber nachdenken fast ein bisschen den Atem:
Die Bewältigung der Herausforderung ist weder auf Geschlecht, Beruf, Stand, Nationalität und was noch immer mehr — und schon grad gar nicht auf Alter — zu reduzieren. Die Herausforderung scheint eine Kollektive zu sein:
Sie nennen es Digitalisierung.
Aber das ist Quatsch: Wenn jemand irritationslos “einen Schimmel” als ein “weisses Pferd” beschreiben würde, machten wir uns Sorgen um die sprachliche Kompetenz unseres Gegenübers.
Wenn jemand eine Zeitung als “Analog” bezeichnet und die (gleichen) Texte der “Neuen Zürcher Zeitung” unter nzz.ch als “Digital”, hat die Person vielleicht einfach gar keine alltagspraktische Vorstellung vom Herstellungs-, Vertriebs-, Verkaufs- und Entsorgungsprozess.
Die Unterscheidung “Analog:Digital” macht in diesem Beispiel kaum einen praktischen Unterschied. Ganz anders wäre es, wenn die zwei Arten der Darreichungen von Texten mit — keine Ahnung, sagen wir — “Massenmedien” und “Computermedien” beschrieben würde, machte dies einen dramatischen Unterschied:
Im einen Fall kann auf den Text nicht reagiert werden. Du kannst die Zeitung als Unterlage zum Schuheputzen nutzen, oder dir wichtig gewordene Passagen mit der Schere ausschneiden und in deinen Zettelkasten legen.
Im anderen Fall stellt sich dir der Text so fragil, so optional, so unsicher zur Verfügung, wie dieser beim Schreibenden kurz vor dem Aufschlagen der Finger auf der Tastatur gewesen ist. Du kannst zwar keine nassen Schuhe damit ausstopfen, aber zum daran weiter denken, schreiben, arbeiten eignet sich dieser in dieser Art und Weise ideal.
Will sagen: Es gibt Unterscheidungen, die helfen dir, einen praktischen Unterschied zu machen. Und andere, verdecken, verschütten, sind gar Teil des Problem selbst geworden.
Warum es so schwierig ist, Vertrauen in Unterscheidungen zu gewinnen, welche einem einen praktischen Unterschied machen?
Es muss gelungen sein, sich eine Ahnung von der Herausforderung zu entwickeln, bis du wissen kannst, welche Unterscheidungen dich in deinem Erkenntnisinteressen unterstützen können. Und:
Es braucht einen gewissen Konsens mit anderen, bis du dich auf Worte, Konzepte, Ideen beziehen kannst…
Was aber, wenn Phänomene auftreten, welche radikal gegen gängige Vorstellungen zielen? Du gar keine Gesprächspartner findest? Wenn du dich sofort Verdächtig machst, wenn du einen abweichenden Gedanken versuchst?
Hier setzt die Idee vom Medienwechsel ein:
Die Idee bietet die Möglichkeit an, jene bekannten, akzeptierten, offensiv tradierten Erzählungen aufzunehmen, wie wir geworden sind, was wir behaupten zu sein: Eine Zivilisation.
Es beginnt mit einem dunklen Mittelalter. Mit Inquisition und Hexenverbrennung. Mit Reformation und Protestantismus: Mit dem Ende von Latein und Sünde und Schuld und Weihrauch. Mit Befreiung aus sozialer Klebrigkeit und Unterdrückung, mit der Aufklärung von geheimgehaltenem Wissen, mit dem Ausrufen einer neuen Zeit: Neuzeit.
- Der Rechtsstaat setzte das starke Recht vor die Rechte der Stärkeren.
- Die Demokratie ermöglichte Machtwechsel ohne Blut zu vergiessen.
- Der Förderalismus liess dort entscheiden, wo umgesetzt werden musste.
- Der Sozialstaat befähigte die Menschen, bei allem sie bestimmenden, mitbestimmen zu können.
Was alle anging, sollte öffentlich gemacht und veröffentlicht werden: Die Druckerpresse war wie geschaffen für diese neue Zeit. Vielleicht ist es sogar umgekehrt. Vielleicht hat sogar die Druckerpresse Neuzeit geschaffen? Wie auch immer:
Sie nannten es Öffentlichkeit.
Das was wir bis heute Internet nennen, hat das was Öffentlich ist, radikal ausgeweitet. So dramatisch w…w…weit, dass es unmöglich scheint, die Grenzen überhaupt noch zu erkennen. Sagen wir darum Weh!Weh!Weh? — Weil es ein echt schmerzhafter Prozess ist? Weil wir sicher sein können, dass nichts mehr sicher ist. Schon gar nicht, was eigentlich noch Privat ist von dem, was ich als Intim empfinde. Und wir also mit allem rechnen müssen. Insbesondere mit dem Schlimmsten?
Mit allem rechnen.
Das was “sie” Digitalisierung nennen, könnte als die Erfüllung eines alten, männlichen, patriarchalen Traumes gezeigt werden: Mit allem Rechnen. Bereits die Antike ist voller Hinweise auf diesen Versuch. Folge dem Geld. Die doppelte Buchhaltung: Soll. Haben. Saldo. Alles fixieren, in dem es immer differenzierter Beobachtet wird. Kucklick nennt es granularisieren. BeniNational pulverisieren. Wie auch immer. So:
- Wissen, wieviele Schweine, Rosse, Krieger habe ich?
- Wissen, wieviele Häuser, Schiffe, Autos?
- Wissen, wieviele Aktien, Mandate, Kontakte?
Nur mit dem was ich weiss, kann ich rechnen. Nur wenn ich mit allem rechnen kann, weiss ich, womit ich zu rechnen habe. Und immer so weiter. (Mit Individualität rechnen. Maren Lehmann. 2011)
Die Herausforderung heute?
Um bloss auf einen Aspekt zu fokussieren: #PaulWatzlawick hat vor (genau) 50 Jahren über “Menschliche Kommunikation” nachgedachte. Er schlug mit seinen Axiomen einen Vorstellungswechsel von Kompliziertheit auf Komplexität vor:
- Vor Paul Watzlawick gingen wir davon aus, dass wir miteinander reden, damit wir uns verstehen können.
- Nach Paul Watzlawick gehen wir davon aus, dass wir miteinander reden, weil wir uns nicht verstehen. Nicht verstehen können.
Niklas Luhmann hat freilich diesen Wechsel mitgemacht. Aber sein Hinweis, dass nicht Menschen kommunizieren, sondern Kommunikation, ist heute offensichtlich, selbstverständlich, unübersehbar: Je mehr “Computer-vermittelt” wir “miteinander reden”, um so deutlicher wird, dass auch “Maschinen”, “Datenbanken”, “Bots” mit tun. Und wir dies gar nicht so störend, gar hilfreich und unterstützend empfinden. Bei allen (dramatisch damit verbundenen) Problemen: Die Herausforderung ist nicht mehr die Kommunikation zwischen Menschen (1:1, 1:n, n:1) sondern umstandlos Die Kommunikation von n:n. Das Kollaborative denken, lesen, schreiben, handeln muss uns beschäftigen. Dazu brauchen wir dringend konstruktive, instruktive, attraktive Umgebungen. Wir nennen es:
Ein Labor für Community Work ;-)
Schluss jetzt. Ich wollte ja zusammenfassen, was ich mir in den Frühstücksgesprächen wiederholen konnte. Also:
Was war eigentlich…
Natur?
Das, was du machst. Einfach so. Natur musst du nicht lernen.
Kultur?
Alles was du lernen musst, um als “anständiger Bürger”, als “zivilisierte Bürgerin”, zu gelten… Wir nennen es “Sozialisation”.
Zivilisation?
Zivilisation war das Ziel unserer Kultur. Sie grenzt sich ab von Vandalismus. Das Gegenteil von “blinder Zerstörungswut”, ist Kultivierung. Und was wollte “unsere Kultur”? — Eben:
Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit.
Mit anderen Worten: “Abwesenheit von Herrschaft.” Nicht Demokratie — die Herrschaft der Beherrschten — sondern umstandlos die sozial wesentliche anspruchsvollere Anarchie. Es kam dann alles ziemlich anders. Aber darüber gibt es keine Einigkeit. Demokratie wird zur Zeit als alternativlos hyperventiliert. Das erhöht freilich auch bloss das Unbehagen. Immerhin: Wenn etwas alternativlos ist… (Abernu. — Wo war ich? Ahja:)
Was war eigentlich…
(ab hier skizzenhaft | nicht ausformuliert)
Ein Bild?
Das menschliche Auge ist das schwächste, das verführungswilligste, das täuschungsfähigste menschliche Sinnesorgan. Aber — mindestens für die Sehenden — das wohl Wirkungsmächtigste. “Du sollst dir kein Bildnis machen” ist zudem direkt mit der Geschichte des “goldenen Kalbes” verbunden…
Bilderstreit, Bildersturm etc. bleiben ein Thema und es ist schwer vorstellbar, warum uns nicht ein nächster ähnlicher Konflikt überrollen soll. (Beispielsweise liesse sich der Formatwechsel auf#Hochkant als solcher Konflikt gedeutet werden. Vielleicht in Gespräch 5 noch ein Thema? Wie auch immer:)
Mit den Folien von #medienlǝsɥɔǝʍ würden wir vielleicht die Entwicklung des Bildes so erzählen:
- (Sprache) zeigen
+ (Schrift) betrachten
≠ (Buchdruck) kritisieren- ..
# (Computer) interagieren
Ich bin aber nicht sicher. Denken ist nicht so meine Stärke. Eine kurze Einführung zum Medienwechsel vom Entwickler selbst: Prof. Dr. Dirk Baecker.
Ein Buch?
Die Druckerpresse hat die Idee der #Massenmedien dominant werden lassen. Für die Neuzeit, Aufklärung, Moderne ein zentrales Kampforgan. Es ermöglichte die anonyme Publikation und Distribution von Ideen. Wir nennen es Massenmedien, weil es das Individuum aus der Klebrigkeit des Sozialen herauszulösen vermochte: Autorität durch Autorenschaft.
Ein Massenmedium schliesst Multiperspektive mittels Technik aus. Und erzwingt gerade dadurch Multiperspektive. (Das war ja der Clou von re:FORMation, von proTESTantismus… ;-)
Ein Bibliothek?
Während für die Klöster die Bibliothek noch “Seelenapotheke” (Stift St. Gallen) sein konnte, gleicht die Universität eher einem Waffenlager…
Kunst?
“Kunst ist ein Begründungssystem für Aussagen, und zwar so, dass nicht »State of the Art«, kraft Approbation, Promotion, Delegation, also kraft beglaubigter Zugehörigkeit zur Fakultät, zur Expertenkommission, zur Kollegenschaft geurteilt wird; Kunst ist ein System der Begründung von Aussagen aus der Individualität der Aussagenurheber heraus. Dann müssen die Aussagen schon ein spezifisches Interesse finden, damit überhaupt jemand auf sie eingeht. Wann immer ein Mensch seine Sachen vertritt, ausschliesslich auf sein eigenes Beispiel gestützt und nicht auf Papst und Kirche, auf Partei oder Markterfolg, dann ist er Künstler.” (Bazon Brock)
Wissenschaft?
Ohne Kunst, keine Wissenschaft.
Ohne Massenmedien, keine Wissenschaft.
Wissenschaft ist zur Veröffentlichung verpflichtet.
Während der Künstler eine Behauptung, eine These, eine Hypothese aufstellt, entwickelt Wissenschaft dazu begründende Theorien. Diese Aussagen müssen — um objektiv beobachtet werden zu können — objektiviert werden, zu Objekten gemacht werden: Sprache, Formeln, Zeichnungen via Massenmedien vorgelegt, ermöglichte diesen Prozess ideal. (Vergl. Das Ende des besseren Argumentes)
Kritik?
Prozess: Aussage, Publikation, Distribution, Reaktion als Publikation. (Verifizerung/Falsifizierung)
Nur die Falsifizierung bringt weitere Erkenntnis.
Popper
Film?
Bilder, welchen die Bewegung fehlt ;-)
«Es ist tragisch, dass diesen Bildern die Bewegung fehlt» (Ernst Scheidegger, NZZ)
Weils grad nicht passt, vielleicht noch:
Politik?
Politik vertritt nicht regionales oder lokales oder individuelles Interesse, sondern eben die res publica, also das Öffentliche.
Das wars.
Und jetzt geht es anders weiter.
PS: Diese Art der Sammlung von Wörtern und Definition — das wäre das Ziel von solchen Texten! —notiere ich auch in: http://dissent.is/2017/09/27/glossar/ Aber eben: Wenn die Gedanken abgeschlossen wären, würden diese in ein nächstes Buch gedruckt werden. Das hier, ist kein Buch.
Stefan m. Seydel/sms ;-)
(*1965), M.A., Studium der Sozialen Arbeit in St. Gallen und Berlin. Unternehmer, Autor, Künstler.
Ausstellungen und Performances in der Royal Academy of Arts in London (Frieze/Swiss Cultural Fund UK), im Deutsches Historisches Museum Berlin (Kuration Bazon Brock), in der Crypta Cabaret Voltaire Zürich (Kuration Philipp Meier) uam. Gewinner Migros Jubilée Award, Kategorie Wissensvermittlung. Diverse Ehrungen mit rocketboom.com durch Webby Award (2006–2009). Jury-Mitglied “Next Idea” Prix Ars Electronica 2010. Bis 2010 Macher von rebell.tv. Co-Autor von “Die Form der Unruhe“, Umgang mit Information auf der Höhe der Zeit, Band 1 und 2, Junius Verlag Hamburg. Mitglied im P.E.N.-Club Liechtenstein. Er war drei Jahre Mitglied der Schulleitung Gymnasium Kloster Disentis. Seit Sommer 2014 lebt und arbeitet er in Zürich: #dfdu.org AG, Konstellatorische Kommunikation. (Entwicklung von Pilot und Impulsprojekten, gegründet 1997 mit Tina Piazzi)